Schubertiade war Tarnung

Freunde wissen mehr zur Saison 2013/14:

 

 

„Macht Musik“ lautet das Motto der Villa Musica-Saison 2013/14. Was es bedeutet, hat der Künstlerische Leiter Prof. Alexander Hülshoff nicht nur im Vorwort zum neuen Saisonprogramm beschrieben (nachzulesen auch auf www.villamusica.de). Er hat es auch live erklärt, illustriert, verdeutlicht: bei der Einführung in die neue Saison am Samstag, 6. Juli im Stammhaus in Mainz. Rund 50 FREUNDINNNEN und FREUNDE erhielten tiefe Einblicke ins Programmgestalten, in Dramaturgie und musikhistorische Hintergründe. Prof. Dr. Karl Böhmer betätigte sich als „Disc Jockey“ und warf die Musikbeispiele auf CD in seinen tragbaren CD-Spieler, angeschlossen an die pittoresken „Sound Sticks“ einer bekannten Boxenfirma. Zwischen den Musikbeispielen spielten sich Böhmer und Hülshoff die Bälle zu, um den FREUNDEN möglichst lebendig die Inhalte der neuen Saison zu vermitteln. Die Zuhörer waren begeistert.

„Macht Musik hat eine dreifache Bedeutung“, sagte Alexander Hülshoff: „Zum einen das Machen von Musik, wie wir alle es zuhause am Klavier, mit der Stimme oder auf vielen Instrumenten umsetzen können. Zum zweiten die Macht der Musik, The Power of Music: Was ist es eigentlich, das uns an Musik so fesselt und so tief bewegt? Zum dritten: das heikle Wechselspiel zwischen politischer Macht und Musik, zwischen den Mächtigen und den Musikern.“

Zum dritten Punkt lieferte Karl Böhmer ein für viele überraschendes Beispiel: Franz Schubert und seine Freunde waren frustrierte Liberale im Polizeistaat des österreichischen Außenministers Metternich. Da Versammlungsverbot herrschte, musste sie ihren liberalen Gedankenaustausch als „Schubertiaden“ tarnen. Abende, die scheinbar nur der Musik eines Franz Schubert gewidmet waren, den Liedern und Tänzen, konnten politisch nicht relevant sein. Heute geht die Schubertforschung davon aus, dass der scheinbar harmlose Name „Schubertiade“ bewusst gewählt wurde als Deckmantel für Zusammenkünfte, in denen sich die unterdrückten Freigeister Österreichs durchaus auch politisch äußerten. Böhmer zitierte aus einem Gedicht von Franz Schubert, „Klage an das Volk“, in dem der Komponist bedauert, wie sehr seine Generation zur politischen Untätigkeit verdammt sei. Dass sich auch Schuberts Musik von den naiv anmutenden, klassischen Anfängen zu tiefromantischer Gebrochenheit gewandelt hat, sei nicht nur auf seine Krankheit und persönliche Hoffnungslosigkeit zurückzuführen, sondern auch auf das schwere Schicksal seiner Generation nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819, die Zensur und Überwachung brachten und jede liberale Strömung mit Polizeigewalt unterdrückten, so Karl Böhmer.

Auch Beethoven sei sensibel gewesen für politische Umstände. Das Menschenelend durch die Kontributionen, die von Napoleon nach der österreichischen Niederlage von Wagram gefordert wurden, sei in das f-moll Quartett Opus 95 eingeflossen – nicht nur die Enttäuschung über den abgewiesenen Heiratsantrag durch Therese Malfatti.

Was die Nazionalsozialisten den jüdischen Musikern angetan haben, ist bekannt. Komponisten, die nach Theresienstadt verbannt waren und in Auschwitz ermordet wurden, wurden von der Villa Musica schon in den Neunziger Jahren wiederentdeckt. In der neuen Saison spielen ihre Werke wieder eine wichtige Rolle, wie Alexander Hülshoff erläutert hat: die Streichtrios von Gideon Klein und Pavel Haas, das Streichsextett und andere Werke von Erwin Schulhoff.

Jüdische Musik erhält in der neuen Saison ein besonderes Forum: die neue Reihe „Musik in der Synagoge“. Alexander Hülshoff und Dr. Heidrun Miller ist es gelungen, bei der jüdischen Gemeinde in Mainz Konzerte in der Mainzer und Wormser Synagoge zu platzieren. Hinzu kommen ehemalige Synagogen in Rheinland-Pfalz, die die Reichsprogramnacht durch den Einsatz unerschrockener Bürger überlebten und heute als Kulturstätten dienen: Meisenheim, Ahrweiler, Wittlich. Dort erklingen im November und Januar Werke des Romantikers Friedrich Gernsheim (aus einer Wormser jüdischen Familie stammend) und seines Freundes Max Bruch, Musik von Bernstein und den Begründern des israelischen Musiklebens, natürlich auch von Ernest Bloch, dem „Vater der jüdischen Musik“ (Alexander Hülshoff). Dazu hat Prof. Hülshoff u.a. den wunderbaren israelischen Geiger Hagai Shaham eingeladen.

Welche Weltklasse-Musiker er auch sonst als Dozenten und Solisten engagiert hat, erzählte Alexander Hülshoff. Interessant daran, wie die Verbindungen zustande kommen: Bei dem Cellisten Lynn Harrell hat Hülshoff selbst drei Jahre in Los Angelos studiert. Harrell habe nie von der Technik des Cellospielens gesprochen oder sehr wenig, sondern ihm sei es darauf angekommen, dass das Instrument singt – wie ein Sänger in einem Schubertlied (Musikbespiel: „An die Musik“ von Schubert in der Harrell-Bearbeitung.)

Den Wiener Quartettklang bringt Günter Pichler zur Villa Musica. Der langjährige Primarius des Alban Berg Quartetts trainiert zwei Ensembles, das Notos Quartett und das flex Ensemble, dem die FREUNDE ein Promotion-Video finanziert haben.

Den amerikanischen Pianisten Emanuel Ax hat Alexander Hülshoff eingeladen, mit einem Brahmsprogramm am wunderbaren Steinway-Flügel in Schloss Engers die Reihe „Musik in Burgen und Schlössern“ zu eröffnen. Sie seien sich zufällig im Zug von Köln nach Mainz begegnet, erzählte Prof. Hülshoff. Ax sei vom Beethovenfest in Bonn gekommen und habe ihn am Cellokasten als Musiker erkannt und angesprochen. Die Eltern von Ax haben Auschwitz überlebt, ebenso wie die Eltern von Pinchas Zukermann, der auch wieder zur Villa Musica kommt und diesmal ausgiebig mit Stipendiaten arbeiten wird. Überhaupt dränge er darauf, dass alle großen Musiker, die Recitals bei der Villa Musica geben, danach oder davor auch mit den Stipendiaten arbeiten, sagte Hülshoff.

Menachem Pressler kommt wieder. Der Pianist ist jetzt 90. Er wird mit dem jungen „Schumann Quartett“ spielen, das die FREUNDE der Villa Musica gefördert und beim Jahrestreffen in Meisenheim gehört haben. Dank der gezielten Vorbereitung auf den Wettbewerb, den Villa Musica und die FREUNDE ermöglichten, konnte das Quartett in Bordeaux den ersten Preis gewinnen. Dabei handelt es sich um den ehemaligen „Evian-Wettbewerb“, einen der wichtigsten Quartettwettbewerbe der Welt. Für den wunderbaren ersten Geiger Erik Schumann, seine Brüder Ken und Mark sowie die Bratschistin Liisa Randalu geht es nun also steil nach oben. Zur berühmten Schubertiade in Voralberg sind sie schon eingeladen.

Streichquartett ist auch das Thema beim „Quartettgipfel“ in Schloss Engers. Das berühmte „Juilliard String Quartett“ wird mit jungen Quartetten arbeiten. Es ist das „Ensemble in residence“ an der Juilliard School, dem privaten Konservatorium in New York – dort werden die amerikanischen Streichquartette ausgebildet. Die Villa Musica sei die zweite  Juilliard School, sagte Alexander Hülshoff. In seinem eigenen Programm spielt das Juilliard String Quartett das große G-Dur-Quartett von Franz Schubert, das bei der Villa Musica noch nie aufgeführt wurde. „Das ist so schwer, da traute sich keiner ran“, meinte Karl Böhmer. Es sei der Ausdruck zerstörter Illusionen und totaler Hoffnungslosigkeit. Im Musikbeispiel wurde der Anfang des ersten Satzes dem langsamen Satz aus Schuberts frühem Es-Dur-Quartett gegenüber gestellt. Dieses Werk spielen die Schumanns in ihrem Programm mit Menahem Pressler.

Besonders gelegen ist Prof. Hülshoff am Camerata-Projekt. Die Camerata Villa Musica ist das neue Kammerorchester der Villa Musica. Nach der umjubelten doppelten Premiere mit den „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi unter Friedemann Eichhorn und der Tschaikowsky-Serenade unter Rainer Honeck, dem Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, geht es in der neuen Saison mit zwei Projekten weiter: Im ersten Projekt unter der Leitung von Frieder Obstfeld, dem ehemaligen Assistenten von Sándo Végh, steht neben dem Divertimento für Streicher von Bartók auch das wundervolle A-Dur-Cellokonzert von Carl Philipp Emanuel Bach auf dem Programm. Daniel Wachsmuth, den die FREUNDE auch als den neuen Förderpreisträger mit einem Recital in der Villa Musica erleben können, wird den Solopart spielen. Das zweite Camerataprojekt im Dezember ist Antonio Vivaldi gewidmet. Der holländische Barockcellist Jaap ter Linden leitet die erste Ausgabe des auf mehrere Saisons angelegten „Vivaldi Project“.

An Carl Philipp Emanuel Bach, den zweitältesten Sohn von Johann Sebastian, der im März 1714 in Weimar geboren wurde, erinnert auch ein zweites Projekt im Villa Programm. Er war Musiker am Hofe Friedrichs des Großen in Potsdam, wirkte also im Schatten der Macht, und komponierte im galanten Stil des friderizianischen Rokoko. Zur Erinnerung an seinen 300. Geburtstag, allerdings erst im Juli, spielen Stipendiaten mit dem Barockgeiger Rüdiger Lotter Werke von Carl Philipp und Vater Bach. Junge Sänger kommen hinzu, u.a. für Bachs „Kaffeekantate“. Es ist das erste Programm einer neuen Kooperation mit dem Exzellenzprojekt „Barock vokal“ der Hochschule für Musik in Mainz.

Besonders freuen dürfen sich die FREUNDE der Villa Musica auf die Saisoneröffnung mit Mozart am Wochenende vom 13. Bis 15. September 2013. Das Thema ist die Wunderkindreise 1763, bei der Wolfgang Amadeus als Siebenjähriger zusammen mit den Eltern und seiner Schwester Nannerl nach Mainz und Koblenz kam. Im Konzertprogramm verbinden sich Verweise auf den Mozartbesuch 1763 mit jenem Programm, das Mozart bei seinem zweiten Aufenthalt in Mainz im Kurfürstlichen Schloss gespielt hat. Die Besetzung ist prominent: Der hoch interessante junge deutsche Pianist Herbert Schuch spielt mit Villa-Streichern, darunter Alexander Hülshoff und der junge Geiger Marc Bouchkov, der schon in den Tangos bei der Saisoneröffnung 2012 das Publikum begeisterte und vor kurzem den Wettbewerb in Montréal gewonnen hat. Die Sopranistin Alexandra Samoulidou singt Arien aus „Idomeneo“ und „Lucio Silla“. Karl Böhmer verwies in seinen Erläuterungen zu diesem Programm auf die Glanzzeit der Mainzer Oper um 1790, die als wichtigste Mozartbühne in Deutschland galt. Hier fand im März 1789 die deutsche Erstaufführung des „Don Giovanni“ in deutscher Übersetzung statt. Dieses und mehr zu Mozart wird Prof. Böhmer auch bei den Konzerteinführungen erzählen, am 13.9. exklusiv für die FREUNDE in Schloss Engers.

Für die FREUNDE der Villa Musica soll die Saisoneröffnung am 13. September in Schloss Engers zu einem besonderen Ereignis werden, zu dem bereits mit dem Versenden des Jahresprogramms eingeladen ist. Aber wer nicht dorthin fahren kann, bekommt dasselbe Programm auch im Schloss in Mainz oder im Hambacher Schloss geboten.

Beim Kostprobentag zur neuen Saison in der Villa Musica in Mainz hörten die „Freunde“ viele Musikbeispiele, die eingebettet in die Erläuterungen hoch interessante Einsichten brachten. Der Appetit auf die Konzerte ist geweckt. In diesem zweiten Saisonprogramm, das der Künstlerische Leiter Alexander Hülshoff konzipiert hat, sind die Pfeiler verstärkt worden, die er von Anfang an eingezogen hat und über deren Prinzip er bereits in der Jahresversammlung der FREUNDE berichtet hatte.

Sie finden das Konzertprogramm der Saison 2013/14 natürlich vollständig unter www.villamusica.de.