Irving Gage - Jesse Norman trug ihm die Koffer
Berühmter Liedpianist Irwin Gage bei „Musik im Gespräch“
Sie kämpfen ein Leben lang gegen das Klischée, als Begleiter des Sängers lediglich den Wert eines Gepäckträgers zu haben: die Liedpianisten. Der Amerikaner Irwin Gage (68), einer der ganz Großen seines Fachs, berichtet dazu schmunzelnd, dass die Sopranistin Jessey Norman es war, die einmal seine Koffer getragen hat – auf dem langen Bahnsteig in Karlsruhe: „Sie ist ja auch kräftiger als ich“.
Zum Gespräch eingeladen hatte den legendären Liedpianisten die Journalistin Barbara Harnischfeger in ihrer Funktion als Vorsitzende von FREUNDE der Villa Musica. Im Diana-Saal von Schloss Engers erzählte Irwin Gage eine Stunde lang aus seinem Leben. Er sei der erste Liedbegleiter gewesen, der auf eigenen Verträgen bestanden hat. Das habe nicht einmal der große Gerald Moore gemacht, der sei noch von den Sängern nach deren Ermessen bezahlt worden.
Richtig angefangen Klavier zu studieren hat Irwin Gage nach eigenen Worten erst mit 18. Aufgewachsen in Cleveland/Ohio hatte der Junge einer russischen Mutter und eines ungarischen Vaters zwar schon mit vier Jahren Klavier gespielt; seine Mutter war mit dem Dirigenten Georges Szell befreundet und der vermittelte, dass Irwin dem legendären Glenn Gould vorspielen durfte. Mit 13 habe er aber das Klavier spielen gänzlich eingestellt und sich aufs Baseball spielen verlegt. An der Universität in Michigan lernte er japanisch, meinte, damit könne man amerikanischer Botschafter in Japan werden. Dann ging Irwin Gage zur Yale University und belegte das Fach Literaturwissenschaft . „Statt Party zu machen saßen wir abends in die Bibliothek und lasen uns Texte vor“. So habe er zum Beispiel ganz locker das Gesamtwerk Max Regers kennen gelernt, sei über die Literatur zum Lied gekommen und wieder zum Klavier spielen. „Für mich war die Kunst aber keine Heilige Kuh“ sagt Irwin Gage wörtlich, „ich habe das Klavier spielen eher als Sport angesehen“.
Ein Amerikaner in Europa
1963 ging Irwin Gage nach Wien; „zwei Jahre Europa, das gehörte sich so für einen Amerikaner“. Er blieb bis heute, lebt in Zürich. Als 21jähriger in Wien habe er sich unbekümmert bei den großen Sängern dieser Zeit schriftlich bekannt gemacht. Der Agent von Fritz Wunderlich schrieb ihm sinngemäß zurück: Wie kommen Sie dazu, als Amerikaner einen Fritz Wunderlich begleiten zu wollen. 1966 bereits starb Wunderlich. Gundula Janowitz schrieb: Ich komme vielleicht auf Sie zurück, aber im Moment werde ich von Herbert von Karajan begleitet. Als Herbert von Karajan erkrankte, kam Irwin Gage bei der Sängerin zum Zuge, mit Hindemiths Marienliedern. Und Hindemith kannte er; den hatte er an der Yale University als Lehrer gehabt.
Zu den Lehrjahren in Wien gehörte, dass der Student Irwin Gage den Liedbegleiter Erik Werba auf dessen Konzertreisen als Umblätterer begleiten durfte; „Ich konnte mir das Nichtstun leisten, weil mein Vater, ein Zahnarzt, mir jeden Monat einen Scheck schickte“. Einen Namen machte sich der Amerikaner mit dem Fable für das deutsche Kunstlied in Wien mit einer Konzertreihe zur Jugendstil-Musik im Museum des 20. Jahrhunderts. Er lernte die Frau von Alban Berg kennen und spielte im Wiener Konzerthaus das erste Programm mit Alban Berg-Werken nach dem Krieg. Das war ein solcher Erfolg, dass ihm die Direktion anschließend einen Liedzyklus mit Elly Ameling übertrug. „Die Holländerin ist für mich die beste Schubert Sängerin“, sagt Gage. Mit ihr konnte der ehemalige Literatur-Student über den Inhalt und den Gehalt der Gedichte diskutieren. „Von ihr habe ich gelernt, die Schubert-Lieder zu begreifen“.
„Ich sagte was ich dachte“
Danach hat Irwin Gage mit allen großen Sängern seiner Zeit gearbeitet, und dabei wollte er immer gleichwertiger Partner sein.
Dietrich Fischer Dieskau habe ihm das übel genommen: „Sie atmen falsch“ habe er, der Pianist, dem schnell berühmt gewordenen jungen Sänger gesagt. „Wenn Sie hier atmen, schaffen Sie es bis zum Ende der Phrase mühelos“. Es habe funktioniert. Aber Fischer-Dieskau habe gesagt: Wie kann es ein amerikanischer Baseballspieler wagen, mir Fischer-Dieskau, zu sagen was ich machen soll. Das sei das Ende der Zusammenarbeit gewesen.
Für Hermann Prey habe er, der Liedpianist, daraus seine Lehren gezogen und nichts gesagt, wenn Prey meinte, er brauche keine Noten zum Probieren, aber musikalisch ungenau war. Was er an Hermann Prey schätzte? „Wir waren alle von Fischer-Dieskau geprägt, sagt Gage. Aber Prey habe eine vorbildliche Diktion gehabt, besser als Fischer-Dieskau, der statt dessen überbetonte, meint Gage. Prey sei freundlicher gewesen, väterlich sogar, verbindlicher, und verletzbarer. „Das schöne an ihm war seine Natürlichkeit. Wir haben Musik gemacht, nicht so viel gewühlt“. Das Grübeln und Wühlen muss zu Hause geschehen, nicht im Konzert, zitiert Irwin Gage seinen Lehrer Erik Werba und weiter: „Im Konzert müssen Sie alles vergessen und nur aus dem Bauch spielen. Und : Jedes Konzert ist für mich das Wichtigste – egal ob in einem Dorfsaal oder in der Carnegie Hall. Ich gebe alles an Emotion was ich geben kann.“
Die Phantasie der Studenten wecken
Vor zwei Jahren hat Irwin Gage das Klavier spielen aufgegeben – aufgeben müssen. Das Konzert bei RheinVokal 2005 in Engers war sein vorletztes. Die Winterreise mit Norman Trekel danach in Amsterdam sein letztes. Seine Fingerkuppen sind krank. Er akzeptiere das ohne große Wehmut, sagt er, denn er sei gut beschäftigt mit dem Ausrichten von Wettbewerben und mit Meisterkursen. Nach Ende seiner Professur in Zürich baute er einen Studiengang für Liedduo an der Universität Saarbrücken auf und unterrichtet dort.
Wie Irwin Gage unterrichtet konnten interessierte FREUNDE der Villa Musica beim einwöchigen Kurs in Engers erleben, an dessen Ende ein Konzert der Meisterschüler stand. Gages Methode: Er fragt jeden, was er oder was sie gerade gesungen hat. Er stelle sich dumm und erlebe oft: Viele wissen gar nicht worum es geht, was die psychologische Situation ist. Gage dazu: Junge Leute haben wenig Beziehung zur Welt der Romantik. Sie lesen keine Gedichte und sie können einen Text von 1850 nicht auf unsere Zeit übertragen; „dabei sind die Gefühle die selben, nur die Worte sind anders.“ Ich mache ihnen keine Vorschriften, ich wecke lediglich ihre Phantasie. Jeder habe eigene Erfahrungen auf seiner inneren Festplatte abgespeichert, sagt Gage. Die Emotionen, die der Sänger persönlich kennt, müsse er abrufen und als abstrakte Idee seines Gefühls ausdrücken.
Dem Tenor Christoph Prégardien habe er selbst immer zu viel Emotion gegeben im Spiel. Der habe es schlichter gemocht. „Wir waren wie Wasser und Öl, haben immer viel diskutiert, aber wir mögen einander“, sagt Gage als die Rede auf die führenden Liedsänger der Gegenwart kommt. Auch den Bariton Matthias Görne kennt er gut. „Ich war sein erster Begleiter. In meiner Zeit war er jung und brav. Er hat sich sehr geändert“. Verloren habe er ihn, weil Görnes Debüt in London in der Kritik schlecht für den Sänger war und gut für den Pianisten Irwin Gage, den die Londoner schon kannten. „Görne war keineswegs schlecht, aber so ist das beim ersten Mal in einer großen Stadt“. Und spitzbübisch fügt Gage an: Als Pianist darf man allerdings nicht zu gut sein.
Mein ganzes Wesen ist Lied
Und wie definiert der Mann, der sich sein Leben lang mit dem deutschen Kunstlied befasst hat den Wert dieser Kunstgattung. Was ist für ihn ein Lied? Antwort: „Das kann ich ihnen nicht sagen. Es ist die Kombination von Text und Musik und es regt meine Phantasie an. Das Lied ist mein Leben. Mein ganzes Wesen ist Lied. Es ist meine private Welt. Und noch einmal : Ich weiß nichts von der Heiligen Kuh. Ich bin für das Handwerk zuständig. Ich spiele einfach. Für mich war das ein Sport. Und ich wollte gut sein.