Komponistin im Gespräch

Zur Fotogalerie

Neue Töne an einem Adventsnachmittag in der Musikhochschule

Schon als kleines Mädchen schlich sie sich heimlich in den Keller zum dort abgestellten Klavier ihrer Oma, schob sich mit viel Kraftanstrengung den Hocker ran, kletterte drauf, erreichte mit Mühe die Klaviertasten und spielte „eigene Kompositionen“. Juliane Klein aus Berlin, inzwischen 44 Jahre alt und anerkannte Komponistin, erzählte den FREUNDEN der Villa Musica aus ihrem Werdegang. Natürlich erhielt sie später Klavierunterricht. Allerdings gab sie die Stücke, welche ihr die Klavierlehrerin vorspielte, anfangs nur aus dem Gedächtnis wieder. Dass sie keine Noten lesen konnte, flog erst auf, als sie das Umblättern versäumte und trotzdem weiterspielte. Eine musikalische Superbegabung war entdeckt.

Die FREUNDE der Villa Musica begegneten der Komponistin Juliane Klein beim Konzert "Spektrum Villa Musica“ am 12. Dezember in Mainz. In der Black Box der Musikhochschule Mainz wurde ein Kurzfilm von Edgar Reitz gezeigt - sein Frühwerk „Geschwindigkeit“ aus dem Jahre 1963. Dazu spielte das Bianco Streichquartett live eine neue Filmmusik die Juliane Klein 2007 mit Wissen von Edgar Reitz dazu geschrieben hat.

An der Einstudierung ihrer Musik hatte die Komponistin während der Kurswoche bei der Villa Musica in Schloss Engers selbst teilgenommen und zudem ein Improvisationsexperiment vorgenommen, dessen Ergebnisse ebenfalls beim Konzert am 12. Dezember zu erleben waren.

Jan-Geert WolffWas der Musikjournalist Jan-Geert Wolff über Kurs und Konzert innerhalb des Projekts „Netzwerk Neue Musik“ schreibt, sei hier gekürzt widergegeben:
Das Publikum wurde bei der Hand genommen und behutsam an die  unbekannte Materie herangeführt. So erfuhr es, dass selbst der Dozent, der Geiger Tim Vogler, anfangs nicht ohne Vorbehalte diesem Projekt gegenüber stand. Neu war für Vogler die Herangehensweise an das „Oktett“ für acht und das Stück „Smartcard“ für drei Streicher. Erarbeitet und dann als „work in progress“ aufgeführt, ja uraufgeführt, wurde etwas, das stark angelehnt ist an freie Improvisation. Jedem Stück liegt wohl eine Idee, ein Konzept zugrunde, jedoch keine Notation, weswegen es niemals in gleicher Art und Weise reproduzierbar ist.

Diesen spannenden Akt des Improvisierens erläuterte die Komponistin vor Konzertbeginn in einer Begegnung mit den „Freunden der Villa Musica“. Die Teilnehmer der Einführung hatten sich einen Ton – einen Laut, eine vokale Äußerung, ein Klatschen, Schnalzen oder Lachen, eine Tonsilbe, ein Wort, Räuspern oder Hüsteln – sowie eine Zahl zwischen 1 und 20 zu überlegen. Juliane Klein zählte vor und die „Musiker auf Zeit“ hatten ihren Einsatz bei Nennung ihrer Ziffer. Was hier zu hören war, klang natürlich ein wenig seltsam, doch die Komponistin erläuterte ihr Ziel so: „Hier geht es um das konsequente Machen, das Sich einbringen ohne Wertung oder Hinterfragen“.

Was die Streicher im „Oktett“ spielten, lässt sich kaum mit Worten wiedergeben. Die Töne, die die Musiker in bestechender Intensität „interpretierten“, umspannten sämtliche Laute, die man einem Streichinstrument entlocken kann: vom warmen, eindringlichen Ton über rasante Läufe, hartes Staccato bis zum aufschreckenden Knarzen und drängenden Col legno-Spiel mit dem Holz des Bogens. Derart ungewohntes Musizieren mündete als stetes Sammeln von Klangfarben in das Personalpronomen „Ich“, das die Künstler nach eigenem Gusto und verbunden mit einer Geste mehrmals äußerten, um sich dann wieder im Klang zu finden.

Neue Musik frei zu musizieren stelle eine ungemein große Herausforderung an jeden Interpreten, weswegen das genaue Hinhören und Begreifen der Gegensätze geübt werden müsse, sagte die Komponistin den Zuhörern. In Engers und während der Konzerte habe man einen „Riesensprung vom schüchternen Einzelnen hin zu einer selbstbewussten jungen Persönlichkeit“ miterleben können, erklärte Vogler das Üben der „Bühnenpräsenz auch ohne Notenständer“. Die Musiker haben „ihre Töne“ im Kopf, suchen nach dem idealen Zeitpunkt für den jeweiligen Einsatz jedoch erst während des Stückes. So wurden die Konzertgäste von „Spektrum Villa Musica“  Zeugen von etwas Einzigartigem.

Und auch wenn man sich zum Schluss des Konzerts mit Mendelssohns „Oktett“ wieder auf klassisches Terrain begab, offerierte „Spektrum Villa Musica“ seinen Gästen doch einen Abend mit vielen neuen Eindrücken. Und erneut wurde deutlich, worum Villa Musica sich auch in den Programmen, in denen Werke bekannter und vor allem älterer Komponisten die erste Geige spielen, stets bemüht: Dass es lohnt, sich auch dem Neuen, Unbekannten zu stellen. Angst vor diesen Tönen ist eigentlich immer unbegründet. Oder wie Juliane Klein es ganz einfach ausdrückte: „Wir leben heute nicht nur in einer anderen Zeit wie vielleicht Mendelssohn – sondern in einer ganz anderen Welt.“

zur Vita Juliane Klein:

Mit 12 Jahren bereits war sie Jungstudentin an der Hanns-Eisler-Hochschule, studiert Klarinette, Klavier, Komposition und Improvisation. Inzwischen hat sie Orchesterwerke und Kammermusik für renommierte Klangkörper geschrieben, u.a. für das Freiburger Barockorchester, für das Klangforum Wien, für die Donaueschinger Musiktage, die Musik-Bienale Berlin und für den WDR. Dazu kamen experimentelle Musiktheaterproduktionen, z.B.  für die Staatsoper Berlin und die Staatsoper Stuttgart.