Helmut Deutsch

Er pflanzt Opernsängern die Liebe zum Lied ein

Partner und Coach von Hermann Prey bis Jonas Kaufmann.
Bei RheinVokal in Schloss Engers mit der Sopranistin Stefanie Iranyi.

Zwölf Jahre lang war er der Liedbegleiter von Hermann Prey. Und noch heute, als 71jähriger, ist er gefragt von den jungen Stars der Opernszene: Helmut Deutsch, DER Liedbegleiter. Mit der Münchner Sängerin Stefanie Iranyi, seiner ehemaligen Studentin, war er am 7. Juli 2017 bei RheinVokal in Schloss Engers.  An einem brütend heißen Sommerabend erleben die FREUNDE der Villa Musica ein Lied-Konzert bei geöffneten Fenstern mit den Geräuschen vom Rhein her in lockerer Atmosphäre. Zur guten Stimmung beigetragen hat mit Sicherheit der Einstieg über das Interview mit den Künstlern.  „Alles, was helfen kann, die sogenannten "Barrieren" zwischen Musikern und Publikum abzubauen oder zumindest niedrig zu halten, finde ich gut und wichtig“, hat Deutsch geantwortet, als Barbara Harnischfeger ihn für das Interview anfragte.

Helmut Deutsch, 28 Jahre lang Professor an der Musikhochschule in München, startete seine Lehrtätigkeit bereits als junger Mann in seiner Heimatstadt Wien und blieb dort an der Hochschule 12 Jahre. Am Anfang habe er viel zu wenig gewusst. Und, die Professur in Wien habe er eigentlich nur zur Beruhigung seiner Eltern angenommen, wegen der Festanstellung. „Heute macht mir das Unterrichten Spaß, ich kann aus dem Vollen meiner Erfahrung schöpfen“, sagt er.

"Prey war sehr vereinnahmend"
Dass er früh zum Partner von Hermann Prey wurde, sei ein Glücksfall gewesen. Heute gehören zu seiner Biografie Juliane Banse, Barbara Bonney, Brigitte Fassbaender, Angelika Kirchschlager, Christiane Oelze, Anne Sophie von Otter, Olaf Bär, Matthias Goerne, Jonas Kaufmann, Thomas Quasthoff, Peter Schreier.......- nicht Dietrich Fischer-Dieskau. „Nein, das ging gar nicht“. Das wäre Hochverrat gegenüber Prey gewesen, ist den Worten von Helmut Deutsch zu entnehmen. Eine Sopranistin ja, ein Tenor vielleicht noch, aber kein anderer Bariton. „Ich hatte einige Angebote, von Bo Skovhus, von Bernd Weikl. Ich nahm nach 12 Jahren Hermann Prey noch Olaf Bär- zusätzlich, wie ich meinte – das hat mir bei Hermann Prey das Genick gebrochen. Da war für ihn Schluss mit mir“.

Zwischen dem Lied-Papst Fischer-Dieskau und Hermann Prey habe es übrigens eine große Animosität gegeben. Fischer Dieskau schrieb in seinen Memoiren, Prey habe ihm alles nachgemacht. Und Hermann Prey, der Jüngere,  habe immer das Gefühl gehabt, er bleibe hinter Fischer-Dieskau zurück.

Lied schon oft totgesagt
Wie steht es um das deutsche Kunstlied? Helmut Deutsch: „Es war immer schwierig. Das Durchschnittsalter beim Publikum war immer hoch. Junge Leute gehen ins Orchesterkonzert, wollen etwas Spektakuläres. Aber das war schon so nach dem zweiten Weltkrieg, da hat man den Liedgesang totgesagt, und dann auf einmal konnte man lesen: jetzt kommt ein junger Mann, der könnte das ändern. Das war die Zeit von Fischer-Dieskau, Prey, den Damen Schwarzkopf, Fassbender. Es ist ein Auf und Ab. Derzeit gibt es kleine Festivals oder einen Opern-Intendanten wie Bernd Loebe in Frankfurt. Als er mit seinem Liederabend-Zyklus begann kamen 20 Leute. Heute ist das Haus voll. Solche Leute braucht man, die sagen, ich bleibe dran, ich will dass das Lied bleibt.“

Junge Sänger jedenfalls drängen zum Lied, siehe Jonas Kaufmann, wirft Barbara Harnischfeger ein. Helmut Deutsch: „Ich habe Jonas Kaufmann vier Jahre unterrichtet, ihm die Liebe zum Lied eingepflanzt. Er bezeichnet es selbst als die Königsklasse des Singens“. Das Lied ist für ihn das Größte. Und Kaufmann schaffe, es damit 2000 Plätze in der Elbphilharmonie zu füllen. Vielleicht sagen ein Dutzend von den 2000:  Ach, das war doch ganz schön und sind fürs Lied aufgeschlossen worden. Deutsch schmunzelnd: „Na ja, er könnte auch „Hänschen klein“ singen. Die Leute wollen Jonas Kaufmann hören. Aber man hofft halt immer, dass es ein Anstoß ist.

Ein anderer Shooting-Star in der Opern-Szene, den Deutsch im März 2017 bei neun Liederabenden begleitete, ist der Pole Piotr Beczala (Lohengrin mit Anna Netrebkov in Dresden). „Das ist schön, wenn man einen etablierten großen Sänger dazu bringt, dass er sagt: Lied, das ist ganz toll. Beczala will immer mehr Liederabende.“

Partner der Sänger
Hat sich Helmut Deutsch als Liedbegleiter eigentlich jemals minderwertig gefühlt – es gibt Kollegen, die sich lieber Liedpianist nennen? Die Antwort:  „ Ich habe nie solistische Ambitionen gehabt. Der Begriff Liedpianist ist für mich ein bisschen lächerlich. Wenn man mit Sängern zusammenwirkt, muss man von Anfang an wissen, dass man kleiner auf dem Plakat gedruckt wird, dass sich der Sänger vor dem Publikum verausgabt, dass er auch die größere Verantwortung hat. Wenn die eigene Gage nicht zu sehr in einem Missverhältnis zur Sängergage steht, ist das in Ordnung. Ich sage meinen Studenten: Wenn ihr es nicht ertragt, dass nach dem Konzert der Sänger für Autogramme umringt wird, nicht ihr, dann lasst es gleich mit dem Liedbegleiten.“

Sind große Sänger schwierig, lassen Sie sich etwas sagen? Oder ist es vielleicht sogar so, dass der Liedbegleiter der Prägende ist für die manchmal als musikalisch dumm titulierten Sänger? Helmut Deutsch erwidert, dumme Sänger wie sie Karajan mal beschrieben hat, gebe es heute nicht mehr. Leicht zu arbeiten sei mit den jungen Anfängern und mit den ganz Großen. Problematisch sei die mittlere Güteklasse, die gerne Star sein möchte.

Lyrik wird vergessen
Was hat die Sopranistin Stefanie Iranyi bei dem Doyen der Liedbegleiter gelernt? Sie habe von seinem immensen Wissen über die Musik allgemein profitiert und gelernt, Liedtexte zu gestalten, die sie überhaupt nicht kannte.  „Ich habe mal den Erlkönig auswendig gelernt in meiner Gymnasialzeit. Das war’s.“

Wie muss das erst mit Ausländern sein? Wie vermittelt man denen, was der Liedtext aussagt? Helmut Deutsch: „Man muss mit Bildern arbeiten. Übersetzung alleine reicht nicht.“ Es gehe ja um das Empfinden von Stimmungen. Was ist der Unterschied zwischen zuhören und belauschen. Was bedeutet: vorüber schleichen, nicht gehen. Das seien Nuancen, die ein Deutscher erfassen kann, damit stoße man bei einem Asiaten aber an Grenzen. Obwohl: in den Garten gehen und die erste Rose pflücken, das müsse man auch jungen Deutschen klar sagen, was das ist -  solches Wissen gebe es bei der Jugend überhaupt nicht mehr.

Singen und Kinder haben
Zu Stefanie Iranyi: sie hat in München studiert, danach nicht die Ochsentour durch deutsche Stadttheater gemacht. Sie hatte die Chance, in Italien einige große Rollen zu singen, in Turin z.B. an der Seite von Leo Nucci. Damals sei das Kulturleben dort noch herrlich gewesen. Heute bekämen in Italien die Sänger teils ihre Gage nicht mehr ausgezahlt. Sie arbeitet freiberuflich. Ein Angebot vom Gärtnerplatztheater hatte sie ausgeschlagen. Denn sie wollte frei sein, ihren Mann, den Dirigenten Asher Fisch auch mal nach New York begleiten, wo er an der Met dirigiert. Und sie wollte Kinder. Was nütze es, große Karriere zu machen und im Alter nur ein Schoßhündchen zu haben. Sie hat eine fünfjährige Tochter. Das zweite Kind, ein Junge, ist gerade auf dem Weg, wie man an ihrem Babybauch sieht. Für das Konzert hat sie sich einen Barhocker erbeten, auf den sie sich setzen kann. Und wie sie nach dem Konzert erzählt, hat der Kleine im Bauch ganz schön dagegen gehalten, wenn sie die Atmung stützte.

Natürlichkeit ist Trumpf
Stefanie Iranyi hat einen wunderbar warmen, runden Ton und eine angenehme Art ihren Körper einzusetzen beim Singen. In ihrer Jugend habe sie Dreigesang gemacht. „Diese Stubenmusi wird belächelt, aber sie ist unglaublich schwierig und es war ein guter Start, sich in ein Ensemble einzuhören“, erzählt die Bayerin aus dem Chiemgau. Helmut Deutsch sei, als sie ihm als Studentin einmal Weihnachtslieder vorsang, beeindruckt gewesen von ihrer Natürlichkeit zu interpretieren. Und sie wolle die Erfahrung dieser „Volksmusik“ nicht missen. Außerdem hat sie übrigens auch in einer Tanzkapelle Geige gespielt. Ein herzhaft sympathischer Typ, diese Frau.

Ach, noch was, merkt Barbara Harnischfeger im Interview an: Auf das Baby im Bauch der Sängerin wirke sich die Musik doch wohl positiv aus, wenn – wenn es harmonisch klingt. Sie zitiert eine Untersuchung, die nachweist: Ungeborene mögen nichts Atonales. Helmut Deutsch: Nicht nur Ungeborene. Allgemeines Gelächter.

Locker und empfindungsreich
Das Konzert war dann aber etwas ganz Leises, Intimes. Ein Abend voller Empfindung.Das Programm des Liederabends in Schloss Engers bei RheinVokal hat Helmut Deutsch  zusammengestellt. Franz Schubert, gegenübergestellt einem Wolfgang Korngold, einem Franz Schreker und auch heute ganz unbekannten Komponisten. Deutsch hatte Themenkreise gebildet:

Unglückliche Liebe, Todessehnsucht, am Schluß: Glückliche Liebe, „damit es nicht traurig endet.“ Es war ein hochkarätiger und musikalisch äußerst intensiver Sommerabend für die FREUNDE der Villa Musica und das übrige Publikum im Dianasaal in Engers am Rhein.