Ein Star ganz locker: Countertenor Andreas Scholl

Nach RheinVokal-Konzert im Gespräch mit den "Freunden der Villa Musica"

 

 

„Mir hat es heute Spaß gemacht – ich hoffe Ihnen auch“

Zustimmender Beifall beim Gespräch, das Barbara Harnischfeger nach dem Konzert am 2. Juli 2014 im Koblenzer Schloss mit dem Sänger führte. Er hatte frühbarocke Lieder aus England gesungen – Dowland, Purcell - und auch Haydn, begleitet am Klavier von der Israelin Tamar Halperin, seiner zweiten Ehefrau. Im Grand Café auf dem Barhocker sitzend fragte die SWR-Journalistin Harnischfeger in Zeiten der Fußball-Weltmeisterschaft und in Anlehnung an ihre Sportreporter-Kollegen: „Wie war das Spiel?“. Andreas Scholl antwortete freimütig  warum er sich verschluckt hatte, mal neu ansetzen musste. Und: er wisse, dass er  sich oft räuspern muss. Wenn die Stimme belegt ist, könne ein Bariton drüber weg singen, aber ein Countertenor nicht, denn die Kopfstimme sei fragiler, weil nur die Stimmband-Ränder schwingen - da reiche die Kraft nicht aus, den Belag beim Singen wegzukriegen.

Eingehend auf den Fußball-Vergleich sagte Scholl: auch bei Konzertauftritten könne es den Arbeitssieg geben, wenn Störfaktoren auftauchen, aber das dürfe das Publikum nicht merken. „Der Zuhörer genießt Mühelosigkeit, muss denken, das könnte ich auch singen“, sagt Scholl und das Publikum schmunzelt.

 

Interpretation statt durchrattern

Mit der Akustik in dem für RheinVokal neuen Konzertort Schloss Koblenz habe er sich wohl gefühlt. Bei leichtem Hall könne er den Ton losschicken und verklingen lassen, müsse nicht bis zuletzt unterstützen und technisch steuern. Das sei es, was ihn interessiert: loslassen, die Musik selbst sprechen lassen, die Menschen berühren. Englische Lieder sind ja kein vokales Feuerwerk, so Scholl, aber da könne er Pausen setzen, akzentuieren, eben musikalisch gestalten. Konzertprogramme mit Händel-Arien voller Koloraturen mache er auch noch. „ Das funktioniert alles noch“, sagt der 46jährige, aber er müsse sich nichts mehr beweisen. Schnell singen sei wie Fahrrad fahren. Langsame Arien sieht er als die größere Herausforderung an -  da sei die Interpretation im Vordergrund. Scholl wörtlich: „Das schnell singen ist toll. Man kann es bewundern. Aber in so einer schnellen Arie gibt es nicht viel zu tun, die muss nur durchrattern“.

 

Oper heißt neun Wochen weg von zu Hause

Vor neun Jahren hat Barbara Harnischfeger den Sänger schon einmal für die FREUNDE der Villa Musica interviewt: 2005  in Bad Ems im ersten Jahr von RheinVokal. Damals sagte er sinngemäß, er wolle sich erst langsam für die Oper fit machen. Jetzt hat er sie schon hinter sich, so scheint es. Händels Oper „Rosalinde“ an der New Yorker Met neben Renée Flemming, 2012 der „Giulio Cesare“ bei den Salzburger Festspielen zusammen mit Cecilia Bartoli: das sei toll und das Schauspielerische mache ihm auch Freude, aber: „Haben Sie sich schon einmal vorgestellt“, fragt er die Zuhörer, „dass man für eine Opernproduktion für neun Wochen die Koffer packen muss und von zu Hause weg ist?“ Das wolle er eigentlich nicht mehr. Viel lieber fahre er zusammen mit seiner Frau Tamar Halperin, die auch seine Liedbegleiterin ist, gemeinsam zum Konzertabend. Und, er wolle einmal im Monat Zeit für seine Tochter aus erster Ehe haben und sie in Brüssel besuchen. Jedenfalls gebe er statt früher 60 nur noch 40 Konzerte im Jahr. ´“Manche Sänger nehmen jedes Angebot an, haben 80 Engagements im Jahr, und dann müssen sie absagen - nicht weil sie krank sind, sondern weil sie es nicht schaffen“, sagt Andreas Scholl nachdenklich. Das sei etwas das er seinen Studenten in Basel zu Bedenken gebe: Ihr müsst Euch überlegen, ob ihr Ende 30 kaputt sein wollt oder ob ihr es auf eine lange Karriere anlegt. Sein Vorbild, der Engländer James Bowmann, singe mit 70 noch. „Ich gehöre zu den Vorsichtigen“, sagt Andreas Scholl. „Ich möchte so lange singen wie es mir Freude macht“. Und kokettierend: „Ich kann auch zu Hause alleine singen, aber schöner wäre es, wenn Leute kommen, die mich hören wollen.

 

Lehrer in Basel und in Mainz

Auf die Zwischenfrage eines Zuhörers folgen interessante Einblicke in die Technik des Singens. Bei einem Countertenor sei der Druck der Luftsäule unter den Stimmbändern nicht so hoch wie bei einem Tenor, der Bruststimme singt. Bei einer ausgebildeten Sopranistin sei dieser subglottische Druck am niedrigsten. Andreas Scholl lässt sich übrigens immer noch von seinem Gesangslehrer Richard Levitt kontrollieren, dem er an der Schola Cantorum Basiliensis als Lehrer nachfolgte. In Basel und auch in Mainz an der Hochschule gibt Andreas Scholl Meisterkurse in Alter Musik. Da gehe es nicht um technische Probleme der Stimme, sondern  um Themen: um die Matthäus-Passion oder demnächst um die Weihnachtshistorie von Heinrich Schütz, da werde er auch dirigieren. Gut findet er, dass der Unterricht an der Hochschule in Mainz nicht nur für eingetragene Studenten ist, sondern auch offen für Externe, die sich fortbilden wollen.

Was er seinen Studenten vermittelt? Dass Sie selbst über ein Werk nachdenken und ganz von vorne anfangen sollen bei der Erarbeitung. „Nicht einfach kopieren, was einer mal so gemacht hat und dann immer wieder auf CDs zu hören ist“. Als Beispiel nennt Andreas Scholl die Phrase aus der Matthäus-Passion: „Bin ich vom Sterben frei gemacht.“  Das singen viele Baritone triumphierend als kraftvolle Behauptung, sagt Scholl, das sei aber eine vorsichtige Frage, ob Jesus durch seinen Tod die Menschen erlöst hat. Junge Sänger sollten den Text von Anfang an lesen und sich Gedanken machen. Leider hätten viele nicht den Mut, etwas zu riskieren und ihre eigene Interpretation zu finden. „Seien Sie mir nicht böse, habe einer gesagt: beim Vorsingen mache ich es doch lieber wie man es kennt“.

 

Zu Hause im Paradies

Andreas Scholl ist noch immer viel unterwegs. 20 Jahre hatte er den Lebensmittelpunkt in Basel. Jetzt hat er sich dort niedergelassen, wo er 1967 geboren ist: In Kiedrich im Rheingau. Ein ehemaliges Weingut hat er umgebaut, in der ehemaligen Maschinenhalle ein Tonstudio eingerichtet. „Meine Frau und ich haben hier ein Paradies. Hier steht ein Cembalo und ein Flügel, und manchmal wenn wir abends einen Film geguckt haben, singen wir vorm zu Bett gehen noch drei Brahms-Lieder.  Es war immer mein Traum, so einen Raum zu haben. Und den mit einer Frau teilen zu können, macht es noch schöner.“

 

Bewundert Pop-Sänger

Was steht als nächstes an? Die Bariton-Stimme ausprobieren. Bei der Aufnahme von „Der Tod und das Mädchen“ hat er sie im Rollenwechsel eingesetzt. Sein Lehrer habe gesagt, da könne er jetzt mal dran gehen. Bariton sei gut für Pop-Songs, sagt Andreas Scholl, aber noch fühle sich die Baritonlage für ihn wie eine fremde Stimme an. Vor Pop hat er keine Scheu. Damit habe er als Jugendlicher angefangen – das Plattenalbum sei allerdings nie veröffentlicht worden von Polydor, weil schon die Single gefloppt habe. Schrecklich sei es, wenn ein klassischer Sänger einen Beatles-Song wie eine Oper singe – siehe Peter Hoffmann. Für Pop-Sänger wie STING ist Andreas Scholl voller Bewunderung. Die seien nicht nur Botschafter für die Musik eines anderen, sondern die seien, wenn sie ihre Lieder selbst schreiben, für alles verantwortlich und müssten ganz sie selbst sein und mit ihrer eigenen Persönlichkeit überzeugen.

 

Musik ohne Schranken

Andreas Scholl liebt es, wie bei der „Last Night of the Proms“ einem Publikum das im Parkett steht, gegenüber zu treten – das sei eine ganz andere Spannung als wenn die Menschen mit der Angst an der falschen Stelle zu klatschen, im Konzertsaal sitzen. Auch Klassik im Club mache ihm Spaß – wenn in der Yellow Lounch von Deutsche Grammophon in Berlin einer mit der Bierflasche in der Hand vor ihm steht, aber aufmerksam zuhöre.

Andreas Scholl, ein Künstler ohne Allüren und ohne Berührungsängste. Natürlich und humorvoll. Danke für das sympathische Gespräch.

 

Eine Besprechung des Konzerts mit Andreas Scholl hat Lieselotte Sauer-Kaulbach in der Rhein-Zeitung geschrieben und auch den Countertenor der nächsten Generation, Valer Sabadus, erwähnt, der am 27. Juni in der Abtei Rommersdorf Händel-Arien gesungen hat. Die FREUNDE der Villa Musica hatten 2014 bei RheinVokal 2014 Gelegenheit, kurz nacheinander   z w e i   Countertenöre zu hören.

 

Mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Zeitung: