Musik im Gespräch - Keine Angst von Dissonanzen

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Die Landesstiftung Villa Musica berücksichtigt in fast jedem ihrer Konzerte einen zeitgenössischen Komponisten. Viele Zuhörer fühlen sich dabei unwohl.

Der Musikphysiologe Eckart Altenmüller sagt dazu:
"Wir fühlen uns nur wohl wenn wir wiedererkennen. Moderne Musik aber überfordert unser auditives Arbeitsgedächtnis."

Der Komponist Volker David Kirchner half den FREUNDEN der Villa Musica wiederzuerkennen. Am Nachmittag des 2. Dezember 2005 vor einem Konzert, in dem das Ensemble Villa Musica zwei seiner Streichquartette spielte, sprach der Komponist im Interview mit Barbara Harnischfeger und mit Villa Musica-Dramaturg Dr. Karl Böhmer über seine  Klangvorstellungen.

Claus Ambrosius schreibt über die Veranstaltung in der Rhein-Zeitung am 5.12.2005:

ENGERS. Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund: "Ich bin für meine Werke schon oft ans Kreuz geschlagen worden." Das drastische Bild - übertragen gemeint auf das Verhältnis von Komponist und Kritik - trifft den Sachverhalt leider sehr gut. Denn obwohl Volker David Kirchner einer der meistaufgeführten deutschen Komponisten der Gegenwart ist, gab es doch stets auch manch erbitterten Gegner seiner Werke. Seine "Sünde": Schon in den 80er-Jahren hat sich der 1942 in Mainz geborene Bratscher und Komponist vom engen Blickwinkel der deutschen Avantgarde losgesagt. Dass deren Leitmotiv "Gut ist, was nicht gefällt" lauten könnte, sprach Kirchner unverblümt bei der öffentlichen Probe zu seiner aktuellen Uraufführung in Schloss Engers aus.

Ist Kirchner also ein Komponist "jenseits der Dissonanz", letztendlich also gefällig um jeden Preis? Das ganz gewiss nicht. Aber im Gespräch mit Barbara Harnischfeger, der Vorsitzenden der ausrichtenden Freunde der Villa Musica, bekannte sich der Komponist zu seiner Arbeit mit musikalischen Erinnerungen und Fragmenten. Karl Böhmer, Chefdramaturg der Landesstiftung Villa Musica, sieht ihn dafür kurz gefasst in der Tradition der Tonalität und in der Nachfolge etwa eines Gustav Mahler - eine Beschreibung, die dem umfangreichen Werk Kirchners wohl sehr gerecht wird.

Neben seinen großen Musiktheaterwerken und den Sinfonien hat sich Kirchner in den vergangenen Jahren wieder dem Streichquartett zugewandt: eine "Königsdisziplin", der er nach einem ersten Werk in den 70er-Jahren jetzt einen ganzen Zyklus folgen lässt. Vorgestellt wurden beim Werkstattkonzert das noch ungedruckte vierte Streichquartett: Ein einsätziges Fragment, das unter dem Titel "Inschrift" über flirrenden Klangflächen immer wieder Erinnerungen Platz bietet.

Volker David Kirchner bat die Zuhörer um Geduld mit seinen Ausführungen: "Es ist nicht leicht, über die eigene Musik zu reden. Sie ist eine eigene Sprache - und ich kann ihr kaum gerecht werden, wenn ich sie in Erklärungen übersetzen muss." Trotzdem fand er für die Beschreibung der Atmosphäre seines vierten Quartettes ein geniales Bild: "Sie können sich vielleicht eine Autofahrt vorstellen, auf der immer wieder bekannte Dinge am Rande des Blickfeldes ganz kurz vorbeiziehen und wieder verschwinden."

Die Ecksätze des fünften Quartettes tragen die Titel "Hölderlinfragment" I und II, im Gesprächskonzert stellte das hervorragende Streichquartett Villa Musica das verbindende Scherzo vor: ein Geniestreich Kirchners, nach eigener Aussagen ein "Tanz der vielen kleinen Teufelchen" und furchtbar schwer zu spielen - dafür aber auch ein quicklebendiger Genuss voller überraschender Klangeffekte auf schwarzen Gefühlsabgründen. Das Streichquartett Villa Musica mit Nicolas Chumachenco (Violine I), Erika Geldsetzer (Violine II), Eszter Haffner (Viola) und Martin Ostertag (Violoncello) dürfte mit seiner aufgefeilten Interpretation zu den besten Rednern "pro Kirchner" gehören - spätestens zu anstehenden runden Geburtstagen des bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten aus Rheinland-Pfalz sollte ein Run auf seine Werke einsetzen.

Eine CD mit ausgewählter Kammermusik Volker David Kirchners ist bei Villa Musica unter 06131/9 25 18 00 erhältlich.