Wie schön leuchtet der Morgenstern

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FREUNDE beim Bachfest in Leipzig und zuvor bei Händel in Halle

Das Händel-Oratorium „Jephta“ bei den Festspielen in Halle. In Leipzig  Bach’sche Chorkantaten  in der Thomaskirche und Solokantaten in der Nikolaikirche. Musikhistorische Einführungen und Stadtführungen von unserem Villa-Musica-Experten Prof. Karl Böhmer in Halle und in Leipzig. Und zu guter Letzt im historischen Goethe-Theater von Bad Lauchstädt die erste Aufführung der wiederentdeckten Johann Christian Bach-Oper ZANAIDA 250 Jahre nach der Londoner Uraufführung. Das war der Kern der fünftägigen  Freundeskreis-Reise ab Pfingstsonntag, 12. Juni 2011. Anita Fricke bedankt sich zehn Tage nach der Rückkehr mit folgenden Worten: „Die Tage waren bereichernd, interessant und nachhaltig nachklingend im wahrsten Sinne des Wortes. Die Bach-Melodie „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ begleitet mich noch immer.

Karl Böhmer von der Landesstiftung Villa Musica war es, der die Idee zum Reiseziel 2011 hatte. Denn er war Teilnehmer eines Fachsymposions, welches das Leipziger Bach-Archiv  über die wiederentdeckte Oper des Bach-Sohnes Johann Christian veranstaltete. Die Freunde der Villa Musica durften zuhören und fanden, dass „ihr“ Karl Böhmer der am überzeugendsten und am verständlichsten vortragende Redner der Veranstaltung war; sein Thema: „A Star was born“ die Sängerbesetzung 1763 in London; Joh. Chr. Bach hatte keine Stars zur Verfügung, aber eine seiner Sängerinnen, Anna de Amicis, wurde später in Italien zum Star und begeisterte sogar Mozart.

An den Lippen von Karl Böhmer hingen die FREUNDE auch als er vor dem Bach-Denkmal an der Thomaskirche erläuterte, welch moderne Stadt Leipzig 1723 war, als Bach aus dem „Kaff“ Köthen im Sachsen-Anhalt’schen hierher kam. Leipzig hatte Straßenbeleuchtung, hatte Kanalisation und gepflasterte Straßen, die Barockhäuser waren fünf Stockwerke hoch. Eines davon war die Thomasschule, in der Bach Singunterricht gab, Instrumental-Studenten für die Kirchenmusik heranbildete und Gäste empfing. „Es ging zu wie im Taubenschlag“.

Anschaulich schilderte Karl Böhmer: Die Thomasschule war auch Wohnhaus für seine Familie, die vielen Kinder; die zweite Frau Anna Magdalena war fast jedes Jahr schwanger. Einige der Kinder starben - sicher auch ein Grund, warum Bach so viele Sterbekantaten komponierte - nicht nur die evangelische Grundhaltung, so Karl Böhmer. Die Thomas-Schüler waren eng bei der Familie Bach – sie konnten Klavichord üben im Dachgeschoss. Zudem unterrichtete Bach in dem Haus Studenten, als Gegenleistung für ihre Dienste in der Kirchenmusik – der Rat der Stadt gab für die studentischen Instrumentalisten kein Geld, und Berufsmusiker bezahlte er so wenige, dass Studenten zur Aufstockung des Orchesters unbedingt gebraucht wurden. Karl Böhmer klärt zudem auf: Johann Sebastian Bach war nicht nur „Kantor“, also Lehrer, als der er immer bezeichnet wird. Bach war Musikdirektor der Stadt und für das gesamte Musikleben zuständig, mit dem die Messestadt bei den Fremden punktete. Bach bekam viel Besuch – selbst reiste er wenig und kam nie weiter als 300 Kilometer über seinen Geburtsort Eisenach hinaus. Aber andere Musiker suchten ihn auf, wollten mit ihm reden, kauften bei seiner Frau Anna Magdalena Notenkopien. Bach war auch berühmt als Orgelvirtuose . Und somit spielte er niemals die Orgel beim Gottesdienst; ihn musste man als Organisten engagieren – gegen Geld, so Karl Böhmer.

Für die Nikolaikirche und die Thomaskirche im Wechsel schrieb Bach drei Jahre lang jede Woche eine Kantate als Hauptmusik vor der Predigt im Gottesdienst. Nur in der Fastenzeit gab es keine Musik in der Kirche und Bach hatte Muse eine große Passion zu komponieren.  Einzig die Matthäus-Passion ist in der Thomaskirche uraufgeführt worden, die man heute mit Bach verbindet. Zu Bachs Lebzeiten war die Nikolaikirche wichtiger. Hier wurden die Johannes-Passion und das Weihnachtsoratorium uraufgeführt.

Verdient habe Bach als Angestellter der Stadt schlecht; nur ein Viertel dessen, was er zuvor als Kapellmeister am fürstlichen Hof in Köthen bekommen hatte. Aber in Leipzig hat Bach „fest gesessen“, war er unkündbar. Außerdem war es eine Stadt, in der seine Söhne studieren konnten. Vier Söhne Bachs wurden Komponisten. Und als Möglichkeit, sein Gehalt aufzubessern gab es die Beerdigungen, bei denen die Bach-Schüler sangen und dem Lehrer Zuverdienst brachten.

Die Bachführung für die „Freunde der Villa Musica“  in Leipzig ging auch zum ehemaligen Standort des Zimmermann’schen Kaffehaus. Dort musizierte Bach mit  seinem collegium musicum, dem semi-professionellen Studentenorchester, weltliche Kantaten. Konzertsäle gab es noch nicht.

Was Prof. Böhmer den Freunden an Wissen vermittelte, lässt sich in einem Reisebericht gar nicht darstellen. Zu Händel in Halle war es genauso. Es stellt alles in den Schatten was ein normaler Stadtführer leisten kann.
Wenn Karl Böhmer am Grab der Mutter Händels erzählt, wie der auf der  Reise von London nach Italien der Mutter wegen über Halle fuhr, aber ein Treffen mit Bach im benachbarten Leipzig vermied, weil er sich nicht mit ihm an der Orgel messen wollte - Händel hatte in London das Pedalspiel verlernt - , dann ist das „so packend, dass man meint, er komme gerade von Händel und habe alles miterlebt“, bemerkt Herbert Jäger treffend.

Für das Händel-Oratorium „Jephta“ am ersten Abend der Reise hatte Karl Böhmer eigens für die FREUNDE eine Einführung geschrieben; die konnten die Konzertgänger auf der Anreise nach Halle im Bus lesen, während Böhmer selbst schon nach Leipzig zum Treffen mit anderen Musikwissenschaftlern vorausgefahren war. Aber immer wieder traf er die FREUNDE und kümmerte sich um deren Bildung.

Ein großes Erlebnis für die FREUNDE der Villa Musica war am letzten Tag der Reise der Besuch in Bad Lauchstädt, wo Goethe 1802, während seiner Zeit als Theaterdirektor in Weimar, das Sommertheater im Kurpark errichten ließ. Christiane Vulpius fühlte sich hier wohl, kurte, kümmerte sich um das Schauspielensemble und berichtete Goethe.

Die Anwesenheit von Goethe selbst und die Besuche Schillers machten das Theater zum Anziehungspunkt für Studenten aus Leipzig und Halle. Der Theaterbau ist eine Holzarchitektur, in der man sofort weiß, woher der Satz kommt: „Bretter, die die Welt bedeuten“. Original erhalten sind die alte Guckkastenbühne und die Bühnentechnik, also die Holzwinden und die Versenkungen in der Unterbühne, die Seilzüge für die Verwandlung der Kulissen.
Bemalte Prospekte als Hintersetzer, Sofitten als Quervorhänge am oberen Bühnenrand, drehbare Kulissenflügel an den Seiten – das waren die Elemente eines Bühnenbildes zu  Goethes Zeiten. Nur damit, mit drei gemalten und einfach herbeizuzaubernden  Bühnenbildern arbeitete die Regisseurin Sigrid T’Hooft  bei Johann Christian Bachs wiederentdeckter Oper ZANAIDA. Zudem: wie zu Zeiten der Uraufführung in London vor 250 Jahren beschränkte sie die Personenführung nur auf Gestik. Die war in Barockzeiten genau festgelegt und den Affekten, als bestimmten Gefühlregungen, zugeordnet. Etwas gänzlich Atifizielles  und Fremdes für an Aktionismus gewöhnte Opernbesucher von heute. Den Rest des überwältigenden Eindrucks besorgten die prachtvollen Kostüme im Barockstil. Solch eine historisierende Aufführung zu erleben war etwas ganz Besonderes. Nur zweimal gab es sie und die Freunde der Villa Musica waren dabei.

Neben der Bildung und der Erbauung durch Musik und Theater brachte die Reise natürlich auch das belebende Beisammensein mit guten Gesprächen bei Speis und Trank. Die Vereinsvorsitzende Barbara Harnischfeger sorgt als Reiseorganisatorin immer dafür, dass sich die FREUNDE am Abend zu gemeinsamem Mahl zusammenfinden. Ansonsten lässt sie aber auch Zeit zur freien Verfügung, und die FREUNDE schätzen es, zwischendurch auf eigene Initiative Sehenswertes anzusteuern, etwa das Bach-Museum in Ruhe zu durchstreifen, das ehemalige Wohnhaus von Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig aufzusuchen; einige waren im Zoo, andere besuchten zu all den ohnehin eingeplanten geistlichen Musiken noch einen musikalischen Gottesdienst. Aber trifft man beim „Freigang“ dann einen FREUND im Straßencafé ist die Freude doch groß, man setzt sich gleich wieder zusammen, tauscht Erlebnisse aus, fachsimpelt über die musikalischen Eindrücke, redet über Gefühle, die durch Musik ausgelöst werden.

Auf einer Kirchenbank in der Thomaskirche fand Anita Fricke den Satz, der Victor Hugo zugeschrieben wird: „Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Es gibt kein besseres Leitmotiv für die Erlebnisse auf einer Konzertreise mit Dr. Böhmer und den Freunden der Villa Musica.