Morgendämmerung in Rumänien

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Vom Königreich über den Kommunismus in die Demokratie

Es ist schon Nachmittag als 36 „Freunde der Villa Musica“ am 12. September 2016 in Bukarest ankommen, aber sie werden mit einem Morgenlied begrüßt, der „Aubade lointane“, von Georges Enescu, deren eingängige Melodie ihnen nicht mehr aus dem Kopf geht. Verarbeitet ist das Motiv der rumänischen Königshymne. Razvan Popovici, der in Rumänien geborene Bratschist, auf dessen Anregung die Reise zustande kam, überrascht die Ankömmlinge mit diesem Streichtrio in den Räumen einer mit ihm befreundeten Galeristin, in der Galerie Möbius inmitten zeitgenössischer Kunst. Prof. Alexander Hülshoff spielt das Cello. Geiger ist der in England lebende Russe Alexander Sitkovetsky. Ihn und Razvan Popovici hatte die Freundeskreisvorsitzende Barbara Harnischfeger in einem Konzert der Villa Musica in Freinsheim/Pfalz 2015 kennengelernt. Popovici, ein ehemaliger Stipendiat der Villa Musica, geboren in Bukarest, aufgewachsen in Deutschland am Chiemsee, heute in aller Welt erfolgreicher Kammermusiker, sagte: kommen Sie nach Rumänien zu meinem Sonoro-Festival in Burgen und Schlössern. Prof. Hülshoff, der Künstlerische Leiter der Villa Musica bestärkte die Freundekreis-Managerin und so geschah es.

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Die trutzige Wehrkirche auf einem Hügel in Michelsberg in Siebenbürgen, die von einem Wassergraben umgebene Festung Fagaras und der Königspalast in Bukarest sind die Konzertorte, die sich nach und nach für die zweite Septemberwoche als gesichert herausstellten. Um die Konzerttermine – und orte herum galt es eine Besichtigungstour auszuarbeiten. Nach einem halben Jahr mit intensivem Mailverkehr und vielen Telefonaten zwischen  Barbara Harnischfeger, Razvan Popovici und seinem Festival-Organisator Valentin Stefanita stand das Programm, individuell zugeschnitten auf die FREUNDE der Villa Musica, kurz vor der Abreise fest.

Eineinhalb Tage Bukarest, anschließend Siebenbürgen. Dort gehören natürlich die deutschen Gründungen Hermannstadt/Sibiu und Kronstadt/Brasov zum Besichtigungsziel. Die Burg Bran in den Karpaten ist Ausflugsziel, eine Almlandschaft erleben die Reisenden im Skigebiet Cheile Gradistei. (Siehe Fotogalerien)

Aber was der deutschen Reiseplanerin vor allem im Kopf steckte, weil sie es schon einmal gesehen hatte und faszinierend fand, war das Märchenschloss Pelec bei Sinaia, ein verschachtelter Fachwerk-Komplex mit überbordender Ausstattung, ein Prunkstück des Historismus - gebaut 1883 als Sommerresidenz für König Carol I.

Der war einer Deutscher, von Napoleon III. ins Gespräch gebracht und von Bismark gutgeheißen. Die Fürstentümer Rumänien hatten einen Neutralen gesucht, um die internen Intrigen zu beenden. Die Wahl fiel auf Karl Anton zu Hohenzollern-Sigmaringen. Der holte sich, bevor er 1881 als Carol I. gekrönt wurde, die Prinzessin Elisabeth aus dem Hause zu Wied als Frau. Nach nur zwei Stunden des Kennenlernens war sie bereit, ihm zu folgen, so erzählen es Kenner des fürstlichen Archivs in Neuwied. Sie nahm es wie er als einen „Fingerzeig Gottes“ und als Lebensaufgabe an, die gerade vereinigten Fürstentümer Moldawien und Walachei zu einem Nationalstaat Rumänien aufzubauen und zu modernisieren. Wobei sich die Königin darauf verlegte, soziale Projekte anzugehen und den Kontakt mit Künstlern wie dem Komponisten George Enescu zu pflegen. Und sie machte für ihren Mann und für das Land die Öffentlichkeitsarbeit, wie man heute sagen würde. Ihr Mittel, Rumänien in Europa und bis in die USA bekannt zu machen, war das Schreiben. Als Dichter-Königin Carmen Sylva wurde Elisabeth zu Wied weltberühmt. Das sei eingeschoben, weil im Zusammenhang mit einer Ausstellung in Neuwied gerade 2016 so viel darüber zu erfahren war und weil auch die Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz das Rumänien des 19. Jahrhunderts gerade behandelte – Gelegenheit für die Reiseplanerin, sich in das Thema zu vertiefen.

Ein Aufgabenfeld, mit dem es König Carol zu tun hatte, war die Bekämpfung der Korruption im Lande. Jahrhunderte unter Osmanischer Herrschaft hatten ihre Wirkung gezeigt. (Das Wort Bakschisch ist schließlich türkisch.) Korruption und das Sich Bereichern am Staat war später das Merkmal des Ceausescu-Kommunismus. 1989 war diese zu Ende. Doch danach ging es nicht stetig bergauf. Die Regierung wechselte oft. Teils waren die Präsidenten noch geprägt von der alten Nomenklatura, andere waren gutwillig, aber unfähig zu regieren und etwas durchzusetzen. Seit 2014 ist Klaus Johannis Staatspräsident. Er kommt aus der Volksgruppe der Siebenbürgener Sachsen und war Bürgermeister von Hermannstadt. Auf ihn richten sich die Hoffnungen der Demokraten im Land und die Erwartungen der EU. (Mitglied ist Rumänien seit 2007.)

In Hermannstadt besuchen wir das „Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien“, die Partei der deutschen Minderheit, aus welcher der Staatspräsident kommt. Wir sprechen mit dem Vorsitzenden des Hermannstädter Forums, Dr. Hans Klein. Der Geschichtsprofessor war Stadtratsmitglied und er kennt Johannis gut. Er erzählt, vielen Menschen in Rumänien gehe es unter Johannis zu langsam voran in der Erneuerung der Wirtschaft und der Landwirtschaft. Aber die neuen Strukturen aufzubauen brauche Zeit nach Jahrzehnten der Enteignung. Und die alten Bonzen hätten immer noch ihre Finger im Spiel. Johannis müsse vorsichtig vorgehen. Das Thema Korruption wird von den Gästen angesprochen. Sie erfahren: der Staatspräsident ernennt in Rumänien den Generalstaatsanwalt und den Leiter der Antikorruptionsbehörde. Die funktioniere, sagt Dr. Klein. Nur könne sie lediglich anklagen. Entscheiden müssten die Gerichte. Und da man sich dem westlichen Rechtssystem angeschlossen habe, daure eine Verurteilung lange. Wann kommt der Euro nach Rumänien? Dr. Klein: es ist erklärtes Ziel des Staatspräsidenten, das Land so zu erneuern, dass es zum Schengen-Raum zugelassen wird und dass es reif für den Euro wird. Ob die Wirtschaft eine Umstellung verkrafte, könne man allerdings nicht wissen. P.S. Es gibt derzeit 20 000 deutsche Unternehmen in Rumänien.

Leistungsträger im Land war in der Vergangenheit die Minderheit der Siebenbürgener Sachsen. Das erzählt uns später auch die Stadtführerin in Kronstadt/Brasov, eine alte Kronstädterin, die der deutschen Minderheit angehört.

Ein bisschen Geschichte:

Ab etwa 1147 holten die damals das Gebiet beherrschenden Ungarn Siedler aus dem Mittelrhein- und Moselgebiet, aus Flandern und der Wallonie. (Der Dialekt der Siebenbürgener Sachsen ist dem Luxemburgischen verwandt.) Die Siedler sollten die Grenzen gegen Einfälle der Tartaren aus dem Osten für Ungarn und Europa sichern und das Land jenseits des Waldes ,Transsilvanien, wirtschaftlich beleben. Zwischen 1211 und 1225 war auch der Deutsche Ritterorden gegenwärtig, den der ungarische König Andreas II. ins Land gerufen hatte. Der Orden besiedelte sein Gebiet mit deutschen Siedlern. Als die Ritter, von Papst und Hochmeister bestärkt, versuchten, einen eigenen Staat zu errichten, wurden sie vertrieben. Weiteren Zuzug von Deutschen gab es nach der Gegenreformation durch radikal-reformatorische Gruppen und der letzte Zuzug kam um 1850 aus dem Königreich Württhemberg.

Die Bezeichnung „Sachsen“ (Siebenbürger Sachsen) hat übrigens nichts mit der Landsmannschaft der Sachsen zu tun, sondern entstammt vermutlich dem lateinischen Stereotyp Saxones für westliche (überwiegend deutsche) Siedler. Diese übernahmen diese rechtliche Eigenbezeichnung schließlich selbst.

Weil die deutsche Volksgruppe von Siebenbürgen im Zweiten Weltkrieg an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland kämpfte, sie fühlten sich schließlich als Deutsche, wurden 75 000 Menschen 1945 zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert und nur wenige davon kamen zurück. Nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes zahlte die Bundesrepublik Ausreise-Prämien und von den damals 200 000 Siebenbürgener Sachsen verließen aufgrund der Armut so viele ihre Heimat, dass in Kronstadt heute nur noch 800 leben. (Verfolgt worden waren die Deutschen nie. Sie hatten auch während Ceausescu-Zeit ihre deutschen Schulen, so hören wir. Das deutsche Gymnasium in Hermannstadt sei heute auch von anderen Volksgruppen geschätzt.) Jedenfalls sterben die Siebenbürgener Sachsen aus. Wer in Zukunft einmal die berühmte Schwarze Kirche in Kronstadt, dieses beeindruckende gotische Baudenkmal, unterhalten soll, wenn nicht die Gemeinschaft der Deutschen, fragt sich unsere Stadtführerin.

In der evangelischen Kirche in Kronstadt haben wir ein großes Erlebnis. Zu danken ist es dem Zusammenwirken von „Freunden der Villa Musica“, die sich umhören und Tipps geben, so auch Vorstandsmitglied Cornelia Hofmann. Sie bekam den Organisten Steffen Schlaudt genannt. Barbara Harnischfeger kontaktierte ihn und erreichte, dass er die großartige Buchholz-Orgel erklärt und spielt. Auf der Orgelempore unterhalb der 9 Meter hohen Prospekt-Pfeifen sitzend, direkt am vier manualigen Spieltisch, erlebt die Reisegruppe den Klang dieses noch rein mechanischen Instrumentes von 1836. Die Kraftübertragung geht direkt von den Tasten zur Windlade, welche die Pfeifen öffnet und schliesst. 12 Windladen gibt es, 63 Register, im Klang von sanft frühromantisch bis preußisch strahlend. Das Lindenholz für die Orgel wurde auf Ochsenwagen von Greifswald und Stralsund über die Donau nach Kronstadt geschifft. Das gotische Orgelprospekt gehört zum Schönsten, das ich je gesehen habe.

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Auch die Begegnungen in den Dörfern Siebenbürgens, im Tal zwischen Hermannstadt und Kronstadt, sind etwas ganz Besonderes.

Eine der berühmten Wehrkirchen, hinter deren Mauern sich die Einheimischen bei  Überfällen durch die Türken im 15. Jahrhundert zurückzogen, wollen wir sehen. Wir kommen nach Kleinschenk/Cincsor. Und wir erleben dort wie ein Kulturgut gerettet werden kann, wenn es Privatleute gibt, die Ideen haben, die investieren und mit Geschmack und Stil Altes einer neuen Nutzung zuführen. Das Pfarrhaus und die Schule an der Kirche sind heute eine Fremdenpension. Michael Liske, der in Berlin Lehrer für Englisch und Geschichte war, hat sich auf die Heimat seiner Frau eingelassen, die aus Kleinschenk stammt. 1984 war die Familie von Lieskes Frau Carmen Schuster ausgewandert, nach Ostdeutschland. Carmen Schuster  ging ins Bankfach. Die deutsche Sparkassenstiftung schickte sie später als Kurzzeitexpertin nach Bukarest, und von dort besuchte Carmen ihre alte Heimat Kleinschenk, entdeckte die Investitionsmöglichkeit, begeisterte ihren Mann und beide ließen sich in Kleinschenk nieder. Die Fremdenpension in der ehemaligen Schule ist ein Schmuckstück. Und einen Hauskoch haben die Beiden - was der für unsere Reisegruppe im Garten zum Mittagessen auftischt, ist Sterne verdächtig.

Am Weg liegt auch der Ort Kerz/Carza. Nichts ist vorbesprochen. Wir wollen einfach mal Halt machen und die Ruine der ehemaligen Zisterzienser Abtei in Augenschein nehmen, von der ich im Internet gelesen hatte. Eine Mauer mit einem Loch, das wohl die Rosette der Westfassade gefüllt haben muss, zieht uns an, steht wie ein Mahnmal auf grüner Wiese. Da begegnet uns ein Baum von einem Mann, deutsch sprechend und stellt sich als Pfarrer Reger vor. Dass der was zu erzählen hat, ist schnell klar. Handballer war er einmal, hat mit 30 erst Theologie studiert, in Hermannstadt, auch ein Jahr in Tübingen. Am Tag als er seinen deutschen Pass erhielt, ging er wieder zurück nach Siebenbürgen, zusammen mit seiner ungarischen Frau. Kerz war sein Traum.

Wie sich die Zisterzienser in dem Sumpfgebiet angesiedelt haben, erzählt er, wie sie gearbeitet haben, wie sie 1474 vertrieben wurden von den Türken. In einer kleinen Ausstellung sehen wir einen „Kirchenpelz“, einen Mantel: außen Leder, farbig bestickt, innen Lammfell. Den tragen die Menschen heute noch als Teil der Tracht, wenn es im Winter kalt ist in der Kirche. Viele kommen nicht mehr das Jahr über, sagt Pfarrer Reger auf Nachfrage. Aber zu Johanni, am 24. Juni, sei die Kirche voll. Johann sei das zentrale Kirchenfest, wichtiger als Weihnachten und Ostern.

Und dann geht’s ans Eingemachte. 21 Jahre ist Pfarrer Reger jetzt hier.
Warum ist das Dorf so viel schöner als die anderen Dörfer, so herausgeputzt, wird er gefragt. Antwort: „Wegen Don Camillo und Peppone“. Ein Wettstreit zwischen Pfarrer und Bürgermeister. Und: in den 70er Jahren verdienten die Leute gut in einer Flachsspinnerei und haben sich die Häuser selbst gebaut. Und sie haben die Häuser behalten, als sie nach Deutschland auswanderten, und kommen im Sommer auf Urlaub. Der Bürgermeister hat die Straßen pflastern lassen und sorgt für die Blumen. Für die Abtei, den Wiederaufbau des Pfarrhauses und eines kleinen Dorfmuseums hat es EU-Gelder gegeben. „Bei der Machbarkeitsstudie haben sie uns angeschmiert“, sagt der Pfarrer. 12 000 Euro fürs Bohren eines Loches, eine halbe Stunde Arbeit. Frage: Wer hat das Geld bekommen? Na wer wohl, diejenigen, die den Firmen den Auftrag gegeben haben“. Wann war das, kurz nach dem Kommunismus? Nein, vor 3 Jahren. Staunen. Es sollte doch alles besser werden, Präsident Johannis wollte doch die Korruption eindämmen. Antwort: „Er kann sie nicht alle einsperren. Und im Senat werden viele Gesetze gemacht, um dem Präsidenten die Macht zu nehmen.“

Am Tag als ich diesen Bericht schreibe – das ist  vier Monate nach dem Rumänien-Besuch – lese ich in der TAGESSCHAU-App: „Die sozialdemokratische Regierung in Rumänien hat per Dekret die Gesetze gegen Korruption gelockert. Durch die Verabschiedung per Dekret wird das Parlament umgangen, die Neuregelung tritt umgehend in Kraft.

Und nun zu Bukarest. Das ist eine westlich anmutende Großstadt, mit imponierenden historischen Bauten, mit modernen Geschäften, mit pulsierendem Leben bei Tag und bei Nacht. Die Innenstadt sieht insgesamt einladend aus, auch wenn nach Jahrzehnten des Verfalls im Kommunismus noch längst nicht alles von der historischen Bausubstanz erneuert ist.

Carol I. hatte sich Paris zum Vorbild genommen und ab 1866 die bis dahin dörfliche Hauptstadt mit großzügigen Boulevards planen lassen und mit klassizistischen Gebäuden wie dem Athenäum. Dieses Haus mit dem charakteristischen Säulen-Portikus ist ein in den vergangenen zehn Jahren restauriertes Kulturzentrum mit einem kreisrunden Konzertsaal, das Haus der Staatsphilharmonie. Wir schlüpfen rein, gerade noch bevor eine Orchesterprobe beginnt und bestaunen das 75 Meter lange Fries, das den Zuschauerraum umgibt und in 25 Szenen, beginnend mit dem römischen Kaiser Trajan, die Höhepunkte der rumänischen Geschichte darstellt. In Zeiten des Kommunismus waren die Fresken abgedeckt, erfahren wir.

Wo die kommunistische Ära endete wird uns natürlich vom Stadtführer auch gezeigt. Gegenüber vom Schloss, neben der Universitätsbibliothek steht ein 1941 gebauter Komplex, in dem das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei residierte. Am 22. Dezember 1989 tritt der Diktator Nicolae Ceausescu auf den Balkon und will mit einer Rede die blutigen Unruhen des Volksaufstandes gegen sein Regime herumreißen. Die Bevölkerung stürmt den Palast und Ceausescu flüchtet vom Dach mit dem Hubschrauber. Als er am 25. Dezember versucht, zusammen mit seiner Frau aus dem Land zu fliehen, werden beide von Militärs  erschossen, „hingerichtet“. Heute heißt der frühere Universitätsplatz „Platz der Revolution“ und wird markiert von einer 20 Meter hohen Marmorsäule.

Was jeder Ausländer auch gesehen haben möchte, ist das „Parlamentsgebäude“ wie es heute heißt, Ceaucescus Wahnsinnspalast, den der gelernte Schuster, der nur vier Jahre die Schule besuchte, ab 1983 in seinem Größenwahn erbauen ließ.  Unsere rumänischen Gastgeber finden das eher nicht sehenswert und halten uns beständig von einer Innenbesichtigung ab. Einer unserer Reiseteilnehmer macht sich am Tag unseres Rückfluges noch selbständig und schaut in einige der 3000 Räume – manche davon grösser als ein Fußballfeld. Auf einer Fläche von der Größe Venedigs waren die Häuser von 40 000 Bukarestern platt gemacht worden, sind Kirchen, Klöster, Palais abgerissen worden. Ein Boulevard, länger als die Champs Elysées, schließt sich an. 41 Springbrunnen ziehen sich diese Straße entlang, an der die Beamten der Nomenklatura neue Wohnblöcke bekamen. Rund 3,3 Milliarden Dollar kostete der Ceausescu-Palast. Der Diktator presste seinem notleidenden Land die letzten Ressourcen ab: Alle im Palast verwendeten Materialien, von technischen Einrichtungen abgesehen, stammten aus Rumänien: Kristallleuchter, riesige Wandteppiche, Türen und Wände aus Kirschbaum- und Nussholz. Und 1 Million Kubikmeter Marmor – die komplette rumänische Produktion von zehn Jahren wurde verbaut - fertiggestellt übrigens erst Jahre nach Ceaucescus Tod.
So viel zur Kommunistischen Ära. Wir sehen aber auch die orthodoxe Patriarchen-Kirche mit ihrer goldenen Ikonostase. Wir erleben eine Oase der Ruhe im Freilichtmuseum „Muzeul Satului“ mit den Holzhäusern aus rumänischen Dörfern.

Für Stadterkundungen zu Fuß ist ideal gelegen unser Hotel MERCURE in der Strada George Enescu. Von hier aus bummeln wir mit den Musikern zusammen Richtung Altstadt, vorbei an Häusern des Bauhausstils, an österreichisch-ungarisch geprägter Großstadtarchitektur. Wir landen zum Abendessen im berühmten „Carul cu Bere“, einer Art Hofbräuhaus, das in einer alten Karawanserei untergebracht ist. Zurück ins Hotel laufen wir entlang des Boulevards, an dem das Theater liegt, ein moderner Bau im Stile eines Le Corbusier.

Unsere Bleibe, das Hotel MERCURE liegt auch nicht weit vom Athenäum und vom Reiterstandbild Carol I., gefällt uns aber schon deshalb so gut, weil esdas Hotel durchgehend mit Notenmanuskripten des Komponisten George Enescu designed ist. Enescu, geboren 1881 in einer rumänischen Kleinstadt, die heute nach ihm benannt ist und gestorben in Paris 1955, war ein großer Geiger, Lehrer unter anderem von Yehudi Menhuin, Musikwissenschaftler und Organisator. Als Komponist war er ein Wanderer zwischen den Welten des Balkan und Westeuropas, schreibt Prof.Karl Böhmer über ihn. Sein Stil: Neben Volksmelodien seiner Heimat und Einflüssen der orthodoxen Kirchenmusik hat er das Wien der Brahmszeit und das Paris des Fin de siècle in seiner Musik vereinigt. Die Franzosen zählen ihn zu den originellsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das Wohnhaus dieses Nationalkomponisten, ein prachtvolles Jugendstilpalais, besichtigen wir natürlich auch. Diesen Palazzo Cantacuzino hatte Enescus Frau Maruca geerbt. Eine herrschaftliche Residenz für einen Komponisten.

Nach eineinhalb Tagen Bukarest am Beginn des Rumänien-Aufenthaltes haben wir schon den Eindruck, viel gesehen zu haben. Aber wir kehren nach unserer Tour ins Land ja noch einmal zurück. Bukarest ist die Klammer und dort erleben wir am letzten Abend das Konzert von Rasvan Popovici mit seinen Kollegen im Königspalast, erbaut im neoklassizistischen Stil 1937. Der heute im Ausland lebende Michael I. residierte hier bis 1947. Jetzt ist das nationale Kunstmuseum im Schloss untergebracht. Vor dem Konzert noch Zeit, Werke des großen rumänischen Bildhauers Brancusi anzuschauen. Dann wieder Musik. Die Musik ist es, die uns für all unsere Freundeskreis-Reisen Anlass gibt und roter Faden ist.

Danke Razvan für dieses Erlebnis.

Und danke Valentin für die opulente und ausgesprochen köstliche Verpflegung - mittags und abends. Manchem erscheint es gelegentlich zu viel, das Drei-Gänge Menü, mit dessen Vorspeise allein man oft schon zufrieden gewesen wäre. Aber wer stöhnt über das üppige Mahl erhält die Antwort: „Das muss so sein, das ist bei uns so Sitte“.

Und zu dem guten Essen gehören die besonderen Locations, die wir alleine gar nicht entdeckt hätten - das außergewöhnlich schöne Ambiente. Wenn ich an Castello Cantacuzino in Busteni  bei Sinaia denke, ein Gebäude von 1911 im neo-romanischen Stil: Mittagessen auf der Veranda, Blick auf die Berge mit Gipfelkreuz in 2400 Metern. Schauen Sie die Fotos. Dann brauchen Sie keine Bildbeschreibung. Nur wieder die Geschichte dahinter: Der Besitzer kommt aus Darmstadt, war Banker, Betriebswirt, Jurist, hat das Areal 2008 mit Freunden gekauft, mit der Absicht ein Golf-, Ski- und Holiday-Ressort zu bauen. Weil die Regierung sehr oft wechselt und die rumänischen Gesetze dafür nicht ausgelegt sind, sei es schwierig, so ein großes Projekt zu bewerkstelligen. „Wir wären der erste Center-Park in Osteuropa, akzeptiert vom Olympischen Komitee und für 20 Millionen Menschen. Aber es tut sich schwer. Inzwischen haben wir das Restaurant eröffnet. Meine Frau ist Opernsängerin am Bolschoi-Theater und  organisiert Klassik-Nächte hier. Schon der Erbauer Cantacuzino hatte das Castell für Feste mit Musik und großer Tafel genutzt. Das stellen wir nach. Es gibt Kunstausstellungen“. Also ein großartiger Ort für Events aller Art und für unsere Mittagspause. Valentin Stefanita, der in der Gegend zu Hause ist, hat für die FREUNDE der Villa Musica solche Orte ausgesucht. Auch die „Villa Leonida“, in der wir zu Abend essen, in der man aber auch gepflegt übernachten könnte, ist ein Geheimtipp. Danke Valentin.

Und danke Razvan für den Ursprungsimpuls zu der Reise in Dein Geburtsland und für die musikalisch beglückenden Erlebnisse.

Wir werden auf Rumänien schauen und wünschen den Menschen dort eine gute Zukunft in unserem gemeinsamen Europa.

 

Text: Barbara Harnischfeger