Ralf Julke
09.12.2010

Partitur für "Zanaida" von J. C. Bach

Am Freitag, 3. Dezember 2010, gingen in New York zwei besondere Kisten auf die Reise über den Großen Teich. Um den 20. Dezember herum werden sie in Leipzig eintreffen. Und einer freut sich schon besonders auf diese Ankunft: Peter Wollny, Forscher im Bach-Archiv Leipzig.

Denn die Sendung enthält rund 1.000 Sammelstücke aus der Sammlung des griechischen Reeders und Kunstsammlers Elias Kulukundis (77), einem jener stillen und keineswegs ruhmsüchtigen Sammler, die sich über Jahrzehnte einer Leidenschaft widmen und irgendwann zu einem ehrfurchtsvoll genannten Namen in der Forscherszene werden.



"In Kontakt mit ihm gekommen bin ich während der Arbeit an meiner Dissertation über Wilhelm Friedemann Bach während meines Studiums in Harvard", erzählt Peter Wollny. Das war 1993 und unter Bach-Forschern war Kulukundis ein Geheimtipp. Seit den 1950er Jahren, als sich noch kaum ein Sammler für das Werk der begabten Söhne Johann Sebastian Bachs interessierte, widmete sich der griechische Reeder, der vor seiner Arbeit in der New Yorker Filiale der Familienreederei begonnen hatte, Musikwissenschaft zu studieren, der Sammlung von Autographen, Partituren und anderen Sammlerstücken aus dem Umfeld der Bach-Söhne.

Wollny war einer von wohl nur drei Forschern, denen Kulukundis Zugang gewährte zu seiner Sammlung. "Ich war in den letzten Jahren mehrmals bei ihm", sagt Wollny. Und ein erstes Projekt reifte schon 2009, zu dem der New Yorker Sammler nicht nur seine Zustimmung gab, sondern auch das nötige Material in Kopie. Und schon das war eine Sensation. Denn es handelt sich um die dreibändige Partitur der Oper "Zanaida" von Johann Christian Bach. Sie galt bislang als verschollen. Nur einzelne Arien waren als überliefert bekannt.

 


Wie genau die Partitur in die Sammlung Kulukundis kam, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Aber am 15. und 16. Juni zum Bachfest 2011 wird die 1763 in London uraufgeführte Oper des damals 28-jährigen Sohnes von Johann Sebastian Bach wieder ein Publikum finden. Denn die in Paris heimische Opera Fuoco wird die Oper - erstmals seit rund 250 Jahren - wieder zum Leben erwecken. Und zwar in der Aufführungsweise und mit der Instrumentierung der Zeit. "Wir wollen das Werk so wie es war, zeigen", sagt Dr. Dettloff Schwerdtfeger, Geschäftsführer des Bach-Archivs.

Ort der Aufführung wird wieder das Goethe-Theater in Bad Lauchstädt, eines der wenigen erhaltenen Barocktheater im mitteldeutschen Raum. Zwei Aufführungen sind geplant: am 15. und 16. Juni. Der Saal fasst 400 Zuschauer. Von Leipzig fahren wieder Busse und das Buchen entsprechender Tickets sollten alle, die einmal selbst eine erfolgreiche Oper des 18. Jahrhunderts in einer historisch stimmigen Aufführung sehen wollen, nicht auf die lange Bank schieben. Weitere Aufführungen durch die Opera Fuoco sind zwar im Gespräch. Doch in Frage kommen dafür praktisch nur wenige über ganz Europa verstreute Barocktheater-Bühnen.

"Zanaida" war 1763 der Einstand Johann Christian Bachs beim Londoner Publikum. "Die Quellen überliefern einen überragenden Erfolg der Aufführung", erzählt Wollny, "vielleicht auch ein bisschen mit durch die Plakate bewirkt, auf denen Bach als der Doktor der Musik aus Sachsen angekündigt wurde. Man erhoffte sich in ihm einen zweiten Händel."

Und mit einigen seiner Londoner Opern gelang Johann Christian Bach das auch und erlangte später ebenso für das Opernschaffen von Mozart Bedeutung. "Auch die 'Zanaida' bringt für seine Zeit einige überraschende Neuerungen", erzählt Wollny. Nicht mit jeder seiner Opern gelang es dem "Londoner Bach", das anspruchsvolle Publikum zu begeistern. Dass jetzt "Zanaida" nach fast 250 Jahren wieder eine Uraufführung erlebt, hat auch damit zu tun, dass das Bach-Archiv in den letzten Jahren auch die Forschung zu den musikalischen Bach-Söhnen verstärkt hat. Bis zum 5. Dezember war die Sonderausstellung zum Leben Wilhelm Friedemann Bachs zu sehen, der in diesem Jahr 300 Jahre alt wurde. Auch an der Edition seines Werkes ist das Leipziger Bach-Archiv beteiligt.

Auch die "Zanaida"-Partitur von J. C. Bach gehört zu den Original-Stücken, die Peter Wollny demnächst erforschen darf. Links: Franziska von Sohl, Presereferentin des Bach-Archivs.

Und die Veröffentlichung der Partitur von "Zanaida" könnte der Auftakt werden zu einer Edition der Opern Johann Christian Bachs. Vorher gibt es aber für Peter Wollny einen ganz anderen Berg Arbeit. Denn in den beiden Kisten, die noch vor Weihnachten im Bach-Archiv eintreffen sollen, befindet sich Elias Kulukundis' Bach-Sammlung. Im Oktober hatte der New Yorker Sammler dem Bach-Archiv vorgeschlagen, diese Sammlung für zehn Jahre als Leihgabe nach Leipzig zu geben. Für Wollny ein "recht unvermutet in den Schoß gefallenes Geschenk". Denn das bedeutet zehn Jahre Forschung mit Originalen, bedeutet auch im ersten Schritt eine Aufnahme aller Einzelstücke ins Werkverzeichnis, so dass auch die Forschergemeinde sehen kann, was alles über die Jahrhunderte gerettet wurde.

Vorstellbar, so Wollny, ist auch eine Digitalisierung der Fundstücke in der Online-Datenbank "Bach Digital". "Aber dazu brauchen wir auf jeden Fall die Zustimmung von Elias Kulukundis", erklärt der Leiter der Abteilung Forschung im Bach-Archiv. Ein Teil der Sammlung soll auch in Sonderausstellungen für die Besucher des Bach-Museums zugänglich gemacht werden.

Wie die Musik von Johann Christian Bach klingt, das hört man freilich im Juni in Bad Lauchstädt am besten.